9.1. Artenschutzrechtliche Belange gemäß den Regelungen des § 44 BNatSchG
Allgemein
Zur Anwendung kommt die Arbeitshilfe des Landesbetriebes Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein - Amt für Planfeststellung Energie- zur Beachtung des Artenschutzrechtes in der Planfeststellung aus dem Jahr 2013.
„Die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) und die Vogelschutzrichtlinie (VSchR) haben das Ziel, die Artenvielfalt Europas zu sichern. Dieses Ziel wird erreicht, indem der sog. „günstige Erhaltungszustand“ der Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen erhalten bzw. wiederhergestellt wird. Die dafür entwickelte europäische Schutzstrategie fußt auf zwei Säulen. Als erste Säule wurden besondere Schutzgebiete als Bestandteile des Natura 2000-Netzes ausgewählt. Die zweite Säule etabliert für bestimmte Arten ein strenges Schutzregime, das auch außerhalb der Schutzgebiete gilt. Die Artenschutzbestimmungen besitzen einen präventiven Charakter (EU-Kommission 2007). Zur Erhaltung bzw. Wiederherstellung des günstigen Erhaltungszustandes der dadurch geschützten Arten tragen Artenschutzprogramme der Naturschutzbehörden bei (vgl. MLUR 2008), indem sie die Populationen von Arten stärken und ihre Anfälligkeit gegen Gefährdungen herabsetzen. Anderseits ist bei der Planung von Vorhaben dafür zu sorgen, dass vorhabensbedingte negative Einflüsse auf die geschützten Tiere und Pflanzen selbst sowie auf ihre wichtigsten Habitate angemessen geprüft und möglichst vermieden werden. Als Vorkehrung vor negativen Auswirkungen werden in der FFH-RL und in der VSchRL Verbote formuliert. Unter bestimmten Voraussetzungen lassen die Artenschutzregelungen Ausnahmen von diesen Verboten zu.“
Quelle: A.1.1 Ziele der Artenschutzbestimmungen aus: Arbeitshilfe des Landesbetriebes Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein - Amt für Planfeststellung Energie - zur Beachtung des Artenschutzrechtes in der Planfeststellung aus dem Jahr 2013
„Die Artenschutzbestimmungen der FFH-RL und der VSchRL werden im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) in den §§ 44 und 45 BNatSchG umgesetzt. Für die Prüfung der artenschutzrechtlichen Belange in der Planung von Eingriffsvorhaben (z. B. Straßen, Schienenwege, Energieleitungen) sind § 44 Abs. 1, Abs. 5, Abs. 6 und § 45 Abs. 7 BNatSchG von Relevanz.“
Quelle: A.1.2 Für die Artenschutzprüfung von Eingriffsvorhaben relevante Textstellen des BNatSchG aus: Arbeitshilfe des Landesbetriebes Straßenbau und Verkehr Schleswig-Holstein - Amt für Planfeststellung Energie - zur Beachtung des Artenschutzrechtes in der Planfeststellung aus dem Jahr 2013
Für die Bauleitplanung ist der § 44 Abs. 5 BNatSchG von besonderer Bedeutung. Demnach liegt ein Verstoß gegen das Verbot des Absatzes 1 Nr. 1 und 3 (§ 44) nicht vor, soweit die ökologische Funktion der vor dem Eingriff oder Vorhaben (die nach den Vorschriften des Baugesetzbuches zulässig sind) betroffenen Fortpflanzungs- oder Ruhestätten im räumlichen Zusammenhang weiterhin erfüllt wird.
Ein Vorhaben ist zulässig, wenn keine Arten des Anhangs IV der FFH- Richtlinie oder europäische Vogelarten von den vorhabensbedingten Wirkungen betroffen sind. Dazu ist eine Bestandsermittlung erforderlich.
Bestandsermittlung
Im Landschaftsplan von 2003 ist die Fläche als Ackerfläche dargestellt. Die Fläche wurde seit Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 29 „Am Belmer Dorfweg“ nicht bebaut und wird gegenwärtig landwirtschaftlich genutzt.
Das Flurstück 823 der Flur 101 wird als Ackerfläche genutzt und ist somit kein bevorzugter Lebensraum für Tiere. Allerdings können Ackerflächen als temporäre Nahrungshabitate für einige Insektenarten, Vögel und Kleinsäuger dienen. Im Süden wird das Gebiet durch einen provisorischen Entwässerungsgraben begrenzt, der, solange die geplante Entwässerung noch nicht fertiggestellt ist, das Regenwasser im Bereich der südlich liegenden Einfamilienhausbebauung sammelt. Das Oberflächenwasser wird dann über die an der nordwestlichen und südöstlichen Grenze des Flurstücks liegenden Gräben weiter zur Sprante geleitet.
Auf dem Flurstück 66/3 der Flur 101 verläuft die Straße Am Belmermoor, an deren seitlichen Flurstücksgrenzen sich Entwässerungsgräben befinden. Die nordwestliche Seite der Straße wird durch eine Baumreihe Eschen gesäumt. Diese sind aber wahrscheinlich zu jung und noch nicht groß genug, als dass sie als Ruhestätten für Fledermäuse interessant sein könnten. Außerdem bleiben sie gemäß Planung alle erhalten.
Auf dem Flurstück 7/6 der Flur 101 befindet sich die Sprante (Vorfluter 01) mit Uferbepflanzung. Die Sprante mit ihren Uferbereichen als Lebensraum für Tiere und Pflanzen wird im Zuge der 4. Bebauungsplanänderung nicht berührt und soll so erhalten bleiben, wie sie sich zurzeit darstellt. Die Sprante und die umliegenden Uferbereiche dienen wie alle Gräben im Plangebiet der 4. Bebauungsplanänderung potentiell als Jagdhabitat für Fledermäuse und Lebensraum für Amphibien, wasserliebende Vögel, Kleinsäuger, Insekten, insbesondere Libellen, und eventuell Fische.
Das Flurstück 825 der Flur 101 liegt entlang der Olof-Palme-Allee, wo sich im Süden ungefähr bis Höhe Ziegelweg bereits der geplante Lärmschutzwall befindet, daran anschließend bis zur Sprante eine Bepflanzung aus Gehölz und Buschwerk als Abschirmung zur Straße. Entlang der Grenze zum Flurstück 823 verläuft ein Entwässerungsgraben. Hier ist Lebensraum für Amphibien, Vögel und Kleinsäuger vorhanden. Die Gehölze besitzen eine potenzielle sommerliche Tagesversteckeignung für einzelne Individuen einiger Fledermausarten.
Abb. 4 Luftbild, unmaßstäblich
Quelle: GIS der Stadt Brunsbüttel, 2025, Luftbild: Landesamt für Vermessung und Geoinformation SH
Abb. 5 Aufnahme des Plangebiets von Südwesten
Quelle: Stadt Brunsbüttel, 20.05.2025
Abb. 6 Aufnahme des Plangebiets mit Sprante und Straße Am Belmermoor von Norden
Quelle: Stadt Brunsbüttel, 20.05.2025
Abb. 7 Aufnahme des Plangebiets mit Sprante von Nordosten
Quelle: Stadt Brunsbüttel, 20.05.2025
Wirkfaktoren
Während der Baumaßnahmen werden die Schutzgüter Boden sowie Tiere und Pflanzen in Mitleidenschaft gezogen.
Als Wirkfaktoren für dieses Gebiet sind insbesondere die geplante Erschließung und die schrittweise erfolgende Bebauung, wie sie in einem Neubaugebiet üblich ist, mit ihrer Versiegelung zu nennen. Das Gelände wird überformt (aufgeschüttet), es werden Straßen, Gebäude mit den dazugehörigen Auffahrten, Stellplätzen, Terrassen und Gärten angelegt und Grünzüge mit Entwässerungsfleeten sowie der Lärmschutzwall an der Olof-Palme-Allee neu hergestellt. Dabei entfallen sukzessive Grün- und Ackerflächen, das Gehölz und Buschwerk an der Olof-Palme-Allee sowie ein Teil der heute vorhandenen Entwässerungsgräben. Weitere Wirkfaktoren sind baubedingte Lärm- und Schadstoffemissionen, Scheuchwirkungen durch die Anwesenheit von Menschen und Maschinen und nächtliche Scheuchwirkung/Vergrämung durch Lichtemissionen (Ausleuchtung der Baustelle).
Bewertung
Gemäß § 44 Abs. 5 BNatSchG in Verbindung mit § 18 Abs. 2 Satz 1 BNatSchG liegt ein Verstoß gegen die Verbotstatbestände nur dann vor, wenn die ökologischen Funktionen im räumlichen Zusammenhang verloren gehen.
Es ist davon auszugehen, dass sich die lokale Population von Vögeln, Kleinsäugern, Amphibien, Insekten, Fischen und Fledermäusen in und um Brunsbüttel im räumlichen Zusammenhang nicht verändern wird, da die Erschließung und Bebauung nur schrittweise erfolgt und der größte Teil des Plangebiets, das Flurstück 823 lediglich als Ackerfläche genutzt wird und somit kein bevorzugter Lebensraum für Tiere ist. Außerdem kann der Bereich nördlich der Straße Am Belmermoor, der direkt in die Marschlandschaft überleitet, als Ausweichfläche für die Tiere im nahen räumlichen Zusammenhang fungieren. Nach Ende der Baumaßnahmen werden Grünflächen und Gärten angelegt, die im Plangebiet als Teillebensräume angesehen werden können. Als Ausgleich für den Wegfall eines Teils der Entwässerungsgräben werden neue Entwässerungsfleete geschaffen, die mit ihren Uferzonen und den sie umgebenden Grünzügen den wasserliebenden Tieren neue Lebensräume bieten. Die Sprante soll mit ihren Uferbereichen zur Naherholung und als Lebensraum für Tiere und Pflanzen dienen. Daher werden die Bauflächen nicht bis ganz zur Sprante geplant, sondern es wird dort ein weiterer Grünbereich geschaffen. Für die Fortführung des notwendigen Lärmschutzwalls an der Olof-Palme-Allee muss bestehendes Gehölz und Buschwerk auf dem Flurstück 825 weichen. Hierzu werden als Ausgleichmaßnahme auf der Straßenseite des Walls und im Plangebiet ausreichend neue Bäume und Gehölz gepflanzt, die als Lebensraum für Vögel, Kleinsäuger und später für Fledermäuse dienen können, insbesondere entlang des Grünzugs mit Entwässerungsfleet in der Mitte des Plangebiets und an der Sprante.
Zu beachten ist auch, dass für die Kompensation der Eingriffe des Bebauungsplans Nr. 29 ca. 6,1 ha Ausgleich ermittelt wurden und diese, wie im ursprünglichen Bebauungsplan Nr. 29 festgesetzt, auf der bereits entwickelten Ausgleichsfläche „Am Borsweg I“ der Stadt Brunsbüttel abgegolten wurden (siehe Kap. 8 der Begründung).
Durch Einhaltung einer Bauzeitenregelung können Konflikte mit Vögeln, Fledermäusen und Amphibien während der Brut-, Fortpflanzungs- oder Laichzeit verhindert werden. Daher wird als Vermeidungsmaßnahme festgesetzt, dass notwendige Räumarbeiten nur in der Zeit vom 01.10. bis zum 28./29.02. des Folgejahres durchgeführt werden dürfen, außerhalb der gesetzlichen Ausschlussfristen (Brutzeit). Notwendige Baum- und Gehölzrodungen sind nur vom 01.12. bis 28./29.02. des Folgejahres zulässig, außerhalb der gesetzlichen Ausschlussfristen (Brutzeit, verlängert aufgrund möglicher Fledermausquartiere oder –tagesverstecke).
Ist ein Verzicht auf Bauarbeiten während der Vogelbrutzeit nicht möglich, so kommen folgende Maßnahmen in Betracht, um eine Tötung von Individuen und eine Zerstörung von Nestern zu vermeiden:
- Eine vorzeitige Baufeldräumung vor Beginn der Brutzeit von Wert gebenden Arten und der anschließende kontinuierliche Baubetrieb (Anwesenheit von Menschen, Baufahrzeugen etc.) stellen hinreichend sicher, dass während der Bauzeit keine Ansiedlungen in den Bauflächen stattfinden.
- Sollte dies nicht gewährleistet sein, dann sind Abweichungen von dem Bauzeitenfenster nur mit vorheriger Zustimmung der Unteren Naturschutzbehörde zulässig. Sofern aus belegbaren Gründen die Einhaltung der Bauzeitenregelungen nicht möglich ist, sind der Unteren Naturschutzbehörde spätestens vier Wochen vor Beginn der Bauzeitenausschlussfrist zum einen die betriebsbedingten Gründe darzulegen, zum anderen ist durch eine Umweltbaubegleitung fachlich darzustellen, wie Besatzkontrollen und Vergrämungsmaßnahmen durchzuführen sind. Die Umweltbaubegleitung bedarf einer nachweisbaren fachlichen Qualifikation.
Potenzielle Aufzucht- und Ruhestätten von Amphibien sind vor der Baufeldräumung durch eine qualifizierte Umweltbaubegleitung auf Besatz zu prüfen und etwaig erforderlich werdende Umsetzmaßnahmen mit der unteren Naturschutzbehörde abzustimmen. Die Umweltbaubegleitung bedarf einer nachweisbaren fachlichen Qualifikation.